Heizen mit Wasserstoff

Ich bin zwar auf diesem Blog schon auf die Themen Wasserstoff und Heizen eingegangen, aber manche Diskussionen in den Medien über Technologie-Offenheit beim Heizen werden ohne technologische Fakten geführt. Deshalb hier einige technische Überlegungen.

Der Unterschied zwischen Erdgas und Wasserstoff

„Gas ist Gas, deshalb benutzen wir einfach Wasserstoff-Gas anstelle von Erdgas“ ist der Tenor vieler populärer Argumentationslinien. Beides brennt – aber wo liegen die Unterschiede?

Gewicht

  • Wasserstoff (H) ist ein relativ einfaches Element: Es besteht normalerweise nur aus einem Kernbaustein (Proton) und einem Elektron. Zwei Wasserstoff-Atome tun sich zu einem Molekül H2 zusammen, aus dem das Wasserstoff-Gas besteht.
  • Erdgas besteht im Wesentlichen aus Methan (CH4), also aus einem Kohlenstoff-Atom und vier Wasserstoff-Atomen. Daher besteht ein Methan-Molekül aus sehr viel mehr Kernbausteinen (Protonen und Neutronen) und ist 8 mal schwerer als ein Wasserstoff-Molekül.

Spezifisches Gewicht

Interessant ist der Gewichtsunterschied zwischen Gasmolekülen, weil – unabhängig von der Art des Gases – bei gleichem Druck und gleicher Temperatur immer gleich viele Gasmoleküle im selben Volumen vorkommen: Ein Luftballon mit Methan ist also deutlich schwerer als ein unter denselben Bedingungen mit Wasserstoff befüllter Ballon.

Energiedichte

Wenn wir die gerade im Geiste befüllten Ballons zur Explosion brächten, würde Energie beim Verbrennen der Gase frei – bei Methan allerdings ein Mehrfaches im Vergleich zum Wasserstoff. Würden wir nicht ein gleiches Volumen an Gas verbrennen, sondern z.B. jeweils ein Kilogramm Methan und Wasserstoff, dann hätte Wasserstoff bei der Energiefreisetzung die Nase vorn, denn ein Kilo Wasserstoff enthält sehr viel mehr brennbare Moleküle.

Siedepunkt

Wasserstoff wechselt bei -259 Grad Celsius zwischen gasförmigem und flüssigem Zustand, Methan bei -162 Grad.

Ab in den Keller

Nach so viel Theorie wollen wir uns mit den praktischen Folgen der Theorie beschäftigen. Gehen wir also in den Keller eines typischen deutschen Wohnhauses. Dort steht in der Regel eine Erdgasheizung, die Methan zur Wärmeerzeugung benutzt. Diese Heizung verkraftet geringe Beimischungen von Wasserstoff zum Methan – amtlich erlaubt ist im Augenblick ein Anteil von bis zu 10%. Beim Verbrennen von hohen Wasserstoffbeimischungen würde diese Heizung schnell den Geist aufgeben.

Möglicherweise ist die Heizung schon H2-Ready. Dies bedeutet aber zunächst einmal nur, dass die Heizung mit Beimischungen von bis zu 20% Wasserstoff zurechtkommt. Geräte, die 100% Wasserstoff verbrennen sollen, sind im Augenblick in der Testphase. Diese Brenner sind wegen des Brennverhaltens von Wasserstoff technisch anspruchsvoll und werden erst mal verhältnismäßig teuer sein.

Das Gas für die Heizung kommt normalerweise aus dem städtischen Gasnetz. In vielen Haushalten hängen auch Gasherde an der Gasleitung. Auch diese Geräte müssten mit einem künftig veränderten Brennstoff-Mix zurechtkommen.

Das städtische Gasnetz

Es entsteht kein großes technisches Problem, wenn die Stadtwerke überflüssigen Strom zur Wasserstoffgewinnung nutzen und diesen dann dem Erdgas beimischen. Aber eigentlich wollten wir ja das Erdgas nicht nur zu 20% ersetzen, sondern zu 100%.

Nehmen wir also an, in unserem Keller stünde eine Heizung, die sowohl 100% Erdgas als auch 100% Wasserstoff verbrennen kann. Wie kommt der Wasserstoff in die Heizung? Sofern kein zweites Netz für Wasserstoff aufgebaut wird, über das Erdgasnetz.

Kämen die städtischen Erdgasnetze mit 100% Wasserstoff zurecht?
Da sind selbst die Wasserstoff-Fans eher zurückhaltend:

  • Meist wird auf die aggressiveren chemischen Eigenschaften von Wasserstoff verwiesen.
  • Auf Grund der geringeren Energiedicht (siehe oben), muss mehr Gas durch die Leitungen geschickt werden, was eine Erhöhung des Drucks in den Leitungen erfordert.
  • Da Wasserstoffmoleküle kleiner sind, können sie einfacher aus den Leitungen entweichen.

In jedem Fall müsste in die Gasnetze investiert werden, um auf reinen Wasserstoff umstellen zu können. Höhe des Investitionsbedarfs unbekannt.

Umstellungszeitpunkt

Nehmen wir an, wir hätten das städtische Gasnetz für 100% Wasserstoff bereit gemacht.
Wann könnten wir dann 100% durch die Röhren jagen?

Unsere Heizung im Keller kommt mit 100% Wasserstoff nicht zurecht, hat aber möglicherweise noch eine Restlaufzeit von 25 Jahren.

Bei 50% Wasserstoff im Netz könnte man sich noch technische Lösungen vorstellen, die Erdgas und Wasserstoff trennen, so dass die Erdgasheizungen nur Erdgas bekommen. Aber bei 100% muss man einen Zeitpunkt festlegen, an dem alle Heizungen abgeklemmt werden, die nicht mit 100% Wasserstoff zurechtkommen.

Vor kurzem gab es einen riesigen Aufschrei, als (indirekt) der Einbau von neuen Gasheizungen verboten werden sollte. Eine Botschaft „Am 1. Januar 203x müssen alle reinen Erdgasheizungen vom Netz.“ wäre im Vergleich dazu ein viel größerer Eingriff ins Eigentum der Bürger.

Investitionsentscheidungen

Setzen wir uns mal ins Büro von Herrn Schmitt, des Leiters der Stadtwerke Oberunterach. Die Stadtwerke besitzen ein Gasnetz, das einen nicht unerheblichen Buchwert besitzt. (Der Wert aller Gasnetze in Deutschland wird auf über € 500 Milliarden geschätzt.) Daher würde Herr Schmitt gerne das Netz auch noch in 20 Jahren betreiben. Folglich ist er pro Wasserstoff im Gasnetz. Und solange er die Freiheit hat, 0-20% Wasserstoff einzuspeisen, hat Herr Schmitt auch kein Problem.

Aber 100%? Er müsste (siehe oben) in sein Netz investieren und die nötige Menge Wasserstoff beschaffen. Aber wie viele Abnehmer wird er für sein Gas haben? Schwer zu sagen – bei all den Fragen, die zum Thema Heizen mit Wasserstoff noch offen sind. Wenn nur ein geringer Prozentsatz der augenblicklichen Erdgas-Kunden auf Wasserstoff umsteigt, hat er möglicherweise eine Menge Geld sinnlos investiert.

Die Alternative: Den Betrieb des Gasnetzes mittelfristig einstellen. Und nur falls rege Nachfrage aus der örtlichen Industrie besteht, ein neues kleines Wasserstoffnetz für die Industrie-Betriebe aufbauen.

Wasserstoff-Beschaffung

Woher bekommt Herr Schmitt seinen Wasserstoff?
Wenn er über entsprechende Kapazitäten an erneuerbaren Energien verfügt, kann er den Wasserstoff selbst herstellen. Das würde Investitionen in Elektrolyseure erfordern. Aber die Ertüchtigung des Netzes hat schon die finanziellen Spielräume ausgeschöpft …

Also vielleicht doch besser zukaufen? Es gibt ja ein deutschlandweites Erdgasnetz, über das Wasserstoff verteilt werden könnte. Hier stellen sich jedoch ähnliche Fragen wie beim städtischen Netz:

  • Anfangs könnte man 20% Wasserstoff ins deutsche Netz einspeisen und Herr Schmitt nimmt dieses Gasgemisch ab.
  • Wenn eine Trennung von Wasserstoff und Methan technisch möglich wäre, könnte Herr Schmitt sogar sein Netz auf 100% Wasserstoff umstellen, ohne dass das übergeordnete Netz reinen Wasserstoff anbietet.
  • Schwierig wird es jedoch auch hier, wenn der Wasserstoffanteil im deutschen Netz steigen soll: substantieller Investitionsbedarf bei unklaren Nachfrage-Vorhersagen.

Wasserstoff-Erzeugung

Woher kommt der Wasserstoff für das deutsche Netz? Im Augenblick wird ungefähr 50% des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt. Während versucht wird, den Ausbau der erneuerbaren Energie massiv zu beschleunigen, wächst parallel die Nachfrage nach Strom durch e-Mobilität, Wärmepumpen und weitere Einsatzfelder, aus denen fossile Energie vertrieben werden soll. Ob Angebot oder Nachfrage in den nächsten Jahren schneller wachsen werden, muss sich noch herausstellen.

In jedem Fall wird auf absehbare Zeit Strom aus erneuerbaren Energien nicht im Überfluss vorhanden sein. Es wird immer wieder für kurze Zeit ein Überangebot an elektrischer Energie geben, das für die Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden kann. Da eine starke, noch lange nicht befriedigte Nachfrage nach Wasserstoff aus der Industrie existiert, wird Wasserstoff mit Priorität dorthin geleitet werden.

Der Joker bei den augenblicklichen Ideen zum Thema Wasserstofferzeugung ist daher der globale Süden: Irgendwo in den Wüsten im Land „MittelSüdAfrikaAmerika“ werden riesige Solarparks gebaut. Und hinter den Solarparks stehen dann die Wasserstofffabriken mit den Pipelines in Richtung Meer, über das der Wasserstoff mit Schiffen zu uns gebracht wird.

Nun gilt leider auch für diese Vision der Machbarkeits-Vorbehalt:

  • Das Ganze kostet nicht unerheblich Geld.
  • Für Wasserstoff aus der Wüste benötigt man erst mal Wasser in der Wüste. In vielen Ländern des Südens ist Wasser knapp – und wird durch die Klimaüberhitzung noch knapper werden. Schon bei ersten Pilotprojekten in diese Richtung hielt sich die Begeisterung der betroffenen Bevölkerung in Grenzen.
  • Die Länder des Südens werden dem kolonialen Denkmodell „Wir nutzen euer Land für unsere Bedürfnisse“ erst einmal Eigenbedarf zur Entwicklung der einheimischen Wirtschaft entgegenstellen.
  • Wir können die Schiffe, die heute verflüssigtes Erdgas (LNG) transportieren, nicht für den Transport von Wasserstoff nutzen. Auf Grund des sehr niedrigen Siedepunkts von Wasserstoff (siehe oben) und der geringen Energiedichte (siehe oben) hat flüssiger Wasserstoff bei Temperaturen nahe dem Absoluten Nullpunkt pro Volumeneinheit nur ein Drittel der Energie von Methan bei sehr viel höheren Temperaturen. Man braucht also erheblich mehr Kühltechnik und Tanker-Kapazität als beim Transport von Flüssiggas. Laut Wikipedia gibt es im Augenblick weltweit nur einen einzigen Tanker, der Wasserstoff transportieren kann.

Fazit

Heizen mit Wasserstoff ist technisch möglich. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch eine lange Liste von Voraussetzungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahrzehnten nicht verfügbar sein werden.

Die Alternative für Wasserstoff-Fans: Solarzellen auf’s Dach und mit dem eigenen Strom im Sommer Wasserstoff erzeugen, zwischenspeichern und im Winter verbrennen. Aber auch das ist noch nicht serienreif.

Ein Kommentar zu „Heizen mit Wasserstoff

  1. FACK! Alles sehr schön beschrieben. Mein Kommentar: Vergesst den Wasserstoff, konzentriert euch – erst einmal auf dem Weg besserer Nutzung bereits in Gebrauch befindlicher Quellen, Recycling, Rückgewinnung von Ressourcen usw. – auf die drastische Reduktion der Energie-Trasformationsrate.

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