Dichtung und Wahrheit

Stellt euch mal kurz vor, ihr wärt eine etwas chaotische politische Partei, die viele kritische Positionen vertritt. Hauptsächlich engagiert ihr euch für den Umweltschutz. Ihr selbst fühlt euch mit eurem Gewissen im Reinen. Aber leider, leider habt ihre eine sehr schlechte Presse: „Chaotentruppe, Systemveränderer, …“


Dann kommt ihr zum ersten Mal auf Bundesebene in politische Verantwortung. Würdet ihr dann nicht auch mal gerne ausprobieren, ob euch Maßanzüge und schicke Kostüme stehen. Müsst ihr euch nicht fragen, ob die basis-demokratischen Verrenkungen, die ihr einst beschlossen habt, noch zeitgemäß sind?


Was macht ihr, wenn das wichtigste politische Partnerland „Alarm, Völkermord auf dem Balkan“ ruft? Ist es da nicht Zeit, den ganzen pazifistischen Firlefanz über Bord zu werfen und im Namen der höheren Moral zu schießen – auch gegen das Völkerrecht?


Müsst ihr nicht, nachdem ihr wieder in der Opposition seid, nach neuen Wegen zurück an die Macht suchen?
Wenn dann ein schwachsinniges Großprojekt Bürgerproteste hervorruft, würdet ihr euch dann nicht an die Spitze der Bewegung setzen? Und siehe da: Wenn ihr dann noch euren biedersten Politiker als Spitzenkandidat aufstellt, könnt ihr auf den Wogen des Protests sogar in einem Bundesland den Ministerpräsidenten stellen. Und dieser neue Ministerpräsident hat tolle Anzüge im Schrank, so dass ihr endlich im Reich der seriösen Parteien angekommen seid.
Aber was macht ihr mit dem umstrittenen Projekt, dass euch an die Macht gebracht hat? Wenn ihr das Projekt zum Scheitern bringt, kann der Ruf von Seriosität schnell wieder dahin sein. Deshalb ein paar Nebelkerzen werfen und das Projekt nach einer Schamfrist durchwinken.


Kann man diese Art von Zwiedenken nicht zum Programm machen? Zum Beispiel mit dem Slogan „Versöhnung von Ökonomie und Ökologie“? Damit sollten sich doch alle identifizieren können: die alten Fans, die die Umwelt retten wollen, und die neuen Fans, für die in erster Linie die Wirtschaft zählt. Suggeriert ein Begriff wie „Grünes Wachstum“ nicht, dass man die Welt retten kann, ohne das sich viel an unserer Art des Wirtschaftens ändern muss? Jetzt müsst ihr noch ein Bekenntnis zum Markt formulieren – so in der Art „Wenn man nur das Verbrennen von fossilen Energieträgern verteuert, wird der Markt unsere Klimaprobleme lösen.“ Und schon seid ihr der Darling der konservativen Presse.


So habt ihr endlich wieder die Chance, auf Bundesebene in die Regierung zu kommen. Jetzt nur nichts falsch machen. Es muss dringend etwas gegen die Klimaüberhitzung getan werden, aber das müsst ihr euren potentiellen WählerInnen sehr vorsichtig verkaufen. Wie wäre es mit einer Wahlbotschaft in der Richtung „Stellt euch vor, die Welt wird gerettet und keiner wird dadurch in seinem Alltag gestört. Mit den richtigen Technologien wuppen wir das.“
Wie nicht anders zu erwarten, mögen viele Wähler diese Vorstellung und ihr bekommt die Verantwortung, euer Versprechen umzusetzen. Also ran an die Arbeit!


Dazu müsst ihr z.B. fossile Heizungen aus den Wohngebäuden vertreiben. Ersatztechnologien gibt es schon und die neue Kernklientel eurer Partei hat auch kein Problem, den Sparstrumpf zu plündern und in neue Heizungstechniken zu investieren. Aber was machen die anderen 90% der Bevölkerung? Denen müsst ihr halt auf die Sprünge helfen. Ihr könntet z.B. festlegen, dass künftig 65% der Heizenergie aus erneuerbaren Energien stammen müssen. Da die von euch vorgeschlagene Technologie Strom benutzt, ist das eigentlich nicht so einfach möglich. Da weniger als 50% des Stroms aktuell aus erneuerbaren Energien stammen, müssten Solar-Panele auf’s Dach, um auf 65% zu kommen. Außerdem wäre es in vielen Fällen wichtiger, den Energiebedarf durch bessere Isolierung der Gebäude grundsätzlich zu reduzieren. Alles sinnvoll. Aber es kostet Zeit, Ressourcen und Geld. Das alles ist nicht unbeschränkt vorhanden.


Hmm – das war offensichtlich nicht Teil eurer Überlegungen. Und dann gibt es natürlich auch noch euer Versprechen, die Rettung der Welt werde niemandem etwas abverlangen.
Doch wohl alles nicht so einfach. So ein Mist!

Zum Trost: Ihr wärt nicht die ersten Märchenerzähler in der Weltgeschichte, die die selbst ausgedachten Märchen mit der Realität verwechseln. Aber wir spielen hier ja nur ein „Stellt euch mal kurz vor“-Gedankenspiel: Ich will nicht behaupten, dass es eine so dumme Partei in Deutschland gibt.

7 Kommentare zu „Dichtung und Wahrheit

  1. Was ist denn hier los? Schon wieder FACK! *tststs*

    Btw., Schriebvähler: fast wichtiger, den Energiebedarf … reduzieren. das fast unbedingt streichen und unbedingt allgemein formulieren: Energietransformation reduzieren! Bitte 100mal abschreiben. 😉

    Ähem, eigentlich will ich Posts in denen Robert, Christian, Marco, Volker, Marie-Agnes, Olaf, Anton, Friedrich usw. und das Mädel aus Borbeck vorkommen nicht lesen … aber man kommt häufig um diese Loite nicht drumherhum.

    Gestern, nach „Die Anstalt“ 15′ bei Lanz reingeguggt: Seitdem steht der Name Carsten auch auf dem Index. (die ersten 15′ reichen: Carsten und die Tücke des Objekts, er versteht sich selbst nicht mehr, geht auch nicht! Den Lanz musst Du natürlich ausblenden!) *würg*

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      1. Na, Herr Inschenjör ;-): Energieerhaltungssatz Der Energieerhaltungssatz (auch Gesetz von der Erhaltung der Energie genannt) drückt die Erfahrungstatsache aus, dass die Energie eine Erhaltungsgröße ist, dass also die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems sich nicht mit der Zeit ändert. Energie kann zwischen verschiedenen Energieformen umgewandelt werden, beispielsweise von Bewegungsenergie in Wärmeenergie. Außerdem kann sie aus einem System heraus oder in ein System hinein transportiert werden, es ist jedoch nicht möglich, Energie zu erzeugen oder zu vernichten. Die Energieerhaltung gilt als wichtiges Prinzip aller Naturwissenschaften. (WikiP)

        Zu Linnemann/Lanz: Hab’s mir doch ganz „angetan“: Auch zur Rente – nur heiße Luft (besser: heißes Vakuum).

        Zu Herrmann: Sry, ich bin Fän von ihr, hab‘ in Ihren Büchern nix falsches gefunden, im Gegenteil. Dass sie einige Daten nicht ganz genau zur Hand hat, dafür hat sie sich entschuldigt (ich maile öfter mit ihr).

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      2. Ich habe mich keineswegs negativ zu Ulrike Herrmann äußern wollen: Sie schien mir auch in dieser Sendung ein Fels in der Brandung des Geschwafels zu sein.

        Danke für die Erläuterung zu „Energietransformation reduzieren“. Es ist natürlich richtig, dass jede Transformation Energieverlust mit sich bringt. Dieser Aspekt wäre mir aber für einen satirischen Beitrag doch zu tief gelegt.

        Die Frage, ob man die „Abwärme“ einer Energietransformation nicht in Fernwärmenetze einspeisen könnte, habe ich schon einigen Experten gestellt. „Eigentlich schon, aber steht im Augenblick nicht auf dem Zettel“ war durchgehend die Antwort. Systemisches Denken wird durch unser Wirtschaftssystem nicht gefördert: Jeder versucht sich ein Stück vom Kuchen zu krallen und damit Geld zu verdienen – was links und rechts davon passiert, ist Sache der Konkurrenz. Und Synergien kosten erst mal Geld, das dann im Quartalsbericht fehlt.

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    1. Habe mir gemäß Deiner Empfehlung die ersten 15′ von Lanz angesehen (und ein bisschen darüber hinaus). Linnemann ist der Chef-Lobbyist der deutschen Wirtschaft ( https://de.wikipedia.org/wiki/Carsten_Linnemann). Dass er angeblich nun sein Herz für den Mittelstand entdeckt hat, ist natürlich mal wieder Nebelkerze. Linnemann fordert sogar bei Minute 20 eine Grenze für die Sozialabgaben, um die notleidende Wirtschaft zu entlasten – und dann zu behaupten, dass die augenblickliche Inflation irgendetwas mit den Sozialabgaben zu tun hat … Dann wurden mir Linnemanns Thesen zu verstiegen/esoterisch/neo-liberal ….
      Lanz gibt mal wieder den Hyper-Naiven und Ulrike Herrmann versucht, sich dem Balla-Balla entgegenzustellen. Gruselig.

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  2. Die Frage, ob man die „Abwärme“ einer Energietransformation nicht in Fernwärmenetze einspeisen könnte, Na, könnten wir aber feste diskutieren, wäre das eines meiner Hauptsteckenpferde, ist es aber nicht.

    Nur an der Oberfläche: Du kommst bei jeder Energietransformation nicht um Verlust herum, auc h nicht bei Fernwärme (der Klassiker: das BHKW, Kraft-/Wärmekopplung). Auch da gibt es a) Verluste und b) das Bedürfnis eine gigantische Infrastruktur aufzubauen (mit Ressourcengewinnung – mit Energietransf., Umwelt, Logistik – Ressourcenumformung – mit Energietransf., Umwelt, Logistik – Aufbau und Wartung – mit Energietransf., Umwelt, Logistik. Richtig ist in solchen Fällen nur: Bessere Effizienz … aber der <Mensch wäre kein Mensch, würde er nicht mit Freude dem Rebound-Effekt frönen!

    Wer all das genau durchrechnen könnte würde sicher darauf kommen, dass die günstigste Energie die ist, die man in ihrem Urzustand belässt, also nicht – in größerem Maßstab – transformiert.

    Stichwort: Die Sonne schickt keine Rechnung .… der Berg auch nicht! In beiden Fällen ist aber Ressourcenverbrauch angesagt.

    Der ganze "grüne Klimbim" ist nix anderes als ein verbrämtes: "Weiter so, aber jetzt mit "grüner" Technologie! Jetzt NEU!" Ignoranz, Dummheit, Hybris, Ideologie … such Dir noch etwas "schönes" aus, passt auch!

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  3. Sry, Nachtrag: Gerade diskutiert man auf dlf über „Seltene Erden“, sinngem. Zitat: „Der Bedarf an Dysprosium wird in den nächsten (20?) Jahren um 25.000% (!!!) steigen. Wir brauchen auch Kobalt und Lithium, Graphit usw. in großen Mengen … für unsere Energiewende!“ An der Stelle bin ich raus. Welche Wende? Auf welchen Bäumen wächst das Zeug? „Jibet dat ömmesünst?“ fragt da der Kölner. Kolonialkapitalismus nicht mehr mit Kanonenbooten sondern mit IWF, Mercosur, NAFTA, Dollar, Korruption, Flugzeugträgern und „Verträgen auf Augenhöhe“! *brrrh*

    SCNR

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