Warum wählen die Schafe den Metzger zum Bürgermeister? (3) Medikation

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Gefordert ist also mehr Realität.

Umwelt ist eine knappe Ressource

Wo auch immer wir hinsehen, stoßen wir an Grenzen dessen, was wir unserer Umwelt zumuten können: Artensterben, Verschlechterung der Ackerböden, Rückgang von Wäldern und Mooren, Plastikmüll, Treibhausgase … Es wird langsam eng. Wir können nicht endlos so tun,

  • als hätten wir alle Zeit der Welt, um gegenzusteuern
  • als könnten wir die Probleme sequentiell angehen: heute ergreifen wir Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß, in 10 Jahren tun wir etwas gegen das Artensterben und in 20 Jahren retten wir die Ackerböden, …

Energie wird auf absehbare Zeit knapp sein

Die Energiewende ist nur ein Teil der Lösung. Aber selbst hier müssen wir realistisch sein: Es ist eher unwahrscheinlich, dass wir die fossilen Brennstoffe so schnell durch erneuerbare Energien ersetzen können, wie die Abmilderung des Treibhauseffekts es eigentlich erfordert. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir in den nächsten Jahrzehnten mit Energie sparsam umgehen müssen.

Das bedeutet nicht Verzicht auf alle Annehmlichkeiten, sondern einen rationaleren Umgang mit Energie – immer mit der Frage „Ist das wirklich nötig?“ im Hintergrund. Sicherlich eine Zumutung für eine Gesellschaft, in der Energie bisher einfach in ausreichender Menge da und auch relativ günstig war.

Win-Win ist meist eine Illusion

Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie war einmal als Verkaufsschlager der Grünen gedacht. Der Gedanke, dass es ein „Grünes Wachstum“ geben könne, bei dem der Wohlstand wächst und gleichzeitig die Umwelt heile gemacht wird, ist ein schöner Gedanke. Nur: Bisher ist dieser Ansatz lediglich dadurch belegt worden, dass das BIP (in Deutschland) stärker gewachsen ist, als der Energie- und Ressourcen-Verbrauch. Diese Beobachtung hat mehrere Ursachen, die sich nicht beliebig in die Zukunft verlängern lassen:

  • Die Produktion vieler Güter ist in der Tat effizienter geworden. Dieser Trend lässt sich nicht beliebig verlängern, da es für die meisten Vorgänge ein technisches Minimum gibt, das nicht unterschritten werden kann: Wir können z.B versuchen, beim Einsatz von Energie den Wirkungsgrad (wie viel Energie dient dem gewünschten Prozess – und geht nicht als Abwärme verloren) immer weiter steigern – aber mehr als 100% sind nicht möglich. (In den meisten Szenarien steigt der technische Aufwand für zusätzliche Effizienzsteigerung schon weit vor 100% steil an.)
  • Produktion wurde ins Ausland verlagert. Dadurch stößt z.B. China heute CO2 aus, dass früher bei der Produktion in Deutschland ausgestoßen wurde.
  • Wir verwandeln uns immer mehr in eine Dienstleistungsgesellschaft. Entsprechend steigt der Anteil der Dienstleistungen am BIP. Dienstleistungen brauchen weniger Energie als Produktionsprozesse, und in der Regel kaum Rohstoffe. Die meisten Dienstleistungen lassen sich aber nicht exportieren. Aber wir brauchen Exportgüter, die wir gegen Rohstoffe und Waren aus anderen Ländern eintauschen können. Deshalb wird auch die Steigerung des Dienstleistungsanteils abflachen.

Der Markt regelt nicht alles

Wenn es um die Beschaffung von Ressourcen geht, bringen die Befürworter freier Märkte gerne ihre Kern-Thesen vor:

  • Angebot und Nachfrage bestimmen den angemessen Preis für Ressourcen.
  • Wenn das Angebot einer Ressource zu sehr schrumpft (und damit der Preis zu hoch wird), sucht der Markt (erfolgreich) nach einer günstigeren Ersatz-Ressource.

Gemäß diesen Thesen wird dann z.B. gefordert, die Transformation der Energie-Infrastruktur dem Markt zu überlassen. Die Grundidee: Fordere einen angemessen hohen Preis pro ausgestoßener Einheit CO2. Damit wird die (virtuelle) Ressource CO2-Ausstoß entsprechend teuer und der Markt wird nach einer Lösung suchen, die die Kosten für das CO2 vermeidet. Ganz von selbst – magisch.

Klingt erst mal überzeugend, ist auf den zweiten Blick nicht unbedingt marktwirtschaftlich.

  • Der CO2-Preis wird Stand heute nicht vom Markt bestimmt, sondern vom Staat.
  • Ein marktgerechter Preis könnte nur entstehen, wenn nur die wirklich verfügbaren CO2-Rechte auf dem Markt wären. Das hieße z.B: Um das Ziel maximal 1,5 Grad Temperatursteigerung einzuhalten, dürfen insgesamt nur relativ wenige Millionen Tonnen CO2 in den nächsten Jahrzehnten ausgestoßen werden. Würde das Recht, diese Mengen CO2 auszustoßen, auf dem Markt versteigert, würde der Preis pro Tonne exorbitant hoch werden. Um dies zu vermeiden, werden Rechte auf den Markt geworfen, die es streng genommen nicht geben dürfte.

Vollends schwierig wird es, wenn Probleme wie Artenschwund mit Marktmechanismen gelöst werden sollen: Wer wäre Anbieter, wer wäre Käufer, welche Ressource würde gehandelt?

Der Markt funktioniert auch nicht bei der Vermögensverteilung: Markt setzt immer eine Waffengleichheit zwischen Anbieter und Käufer voraus. Dies ist aber in vielen Fällen nicht gegeben.

  • So haben z.B. einige wenige Internetkonzerne ein Quasi-Monopol auf bestimmte Dienstleistungen. Daher machen sie exorbitante Gewinne. Und mit einer gut gefüllten Kriegskasse können sie ihre Lobbyisten losschicken, deren Aufgabe es ist, die Gesetze zu verhindern, die das Monopol beschneiden. Und diese Logik „starke Marktmacht -> finanzielle Potenz -> Einfluss auf Gesetzgebung zum Schutz der Marktmacht“ gibt es in auch in vielen anderen Wirtschaftszweigen.
  • Die Gefälle zwischen dem Gehalt eines Angestellten und eines Vorstandsmitglieds ist in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden. Dazu wird dann gerne behauptet, das Vorstandsmitglied sei für den Konzern eben 100-mal wichtiger als der Angestellte. Das mag im Einzelfall stimmen. In vielen Fällten werden Vorstandsmitglieder aber nach wenigen Jahren wegen mangelnder Leistung (mit einer hohen Abfindung) in die Wüste geschickt. Deshalb gilt eher die Annahme, dass Vorstände und Aufsichtsräte ein geschlossener Club sind, der sich gegenseitig die Pfründe zuschiebt.

Auch der Mythos von der Innovationskraft des Marktes, die ständig neue Lösungen/Ressourcen anbietet, um das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen zu optimieren, steht auf wackligen Beinen.

  • Konzerne versuchen dem Innovationsdruck auszuweichen, indem sie ihren Einfluss auf die Politik spielen lassen. Das klassische Beispiel ist die deutsche Autoindustrie, die endlos den Dieselmotor optimiert hat, um den dabei erzielten Effizienzgewinn für den Entwurf immer größerer und umweltschädlicherer PKW zu nutzen. Mit Rückendeckung der Politik …
  • Dem Glauben an die immer währende Innovation setzen die Naturgesetze Grenzen. Irgendwann ist dem Potential zur Effizienzsteigerung (meist durch die Physik) Grenzen gesetzt. Auch hier ist der Dieselmotor ein schönes Beispiel: Um eine Masse auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu beschleunigen, muss die entsprechende kinetische Energie zur Verfügung gestellt werden. Reibungsverluste durch Luftwiderstand können zwar verbessert werden, aber meist auf Kosten anderer Merkmale und auch nicht auf nahe Null. Ebenso wenig gibt es für jede knappe Ressource einen preisgünstigen Ersatz – oft wäre der Ersatz erheblich teurer. Beispiel: Synthetische Kraftstoffe werden (vermutlich für immer) erheblich teurer sein als Erdöl-basierte Kraftstoffe.

Ein Privathaushalt ist kein Unternehmen

Das Vertrauen in den Markt übersieht, dass Unternehmen anders ticken als Privathaushalte. Wenn Unternehmen unter Marktdruck geraten, haben sie eine Fülle von Möglichkeiten:

  • Kredite für Investitionen aufnehmen
  • Mitarbeiter entlassen
  • Mit Konkurrenten fusionieren
  • Produktpalette ändern
  • In Konkurs gehen

Das meiste davon kann ein Privathaushalt nicht – z.B. Kinder entlassen, um Kosten zu sparen. Auch bei der Aufnahme von Krediten für Investitionen greifen bei Privathaushalten andere Gesetzmäßigkeiten:

  • Nicht jeder Haushalt ist kreditwürdig. (Das trifft natürlich auch für manche Unternehmen zu. Diese werden dann in der Regel durch Konkurs abgewickelt. Privathaushalte können sich aber nicht so einfach „auflösen“.)
  • Die Investitionen von Privathaushalten werden in der Regel zur Kostensenkung (Eigentum statt Miete, energetische Sanierung, …) getätigt – selten zur Steigerung der Einnahmen. Um den Kredit zurückzahlen zu können, müssen die Kosteneinsparungen deutlich über den Zinsen liegen. Das ist aber bei vielen Investitionen, die den Haushalten heutzutage von außen vorgeschrieben werden, nicht der Fall.

Die Zeit der einfachen Antworten ist vorbei

„Wenn wir A tun, wird B geschehen.“ Aussagen dieser Art gehören zum Handwerkszeug des Politbetriebs. Eine einzige Eingangsgröße wirkt auf eine einzige Ausgangsgröße.

Dabei denkt die Wissenschaft schon lange in komplex vernetzten Wirkungszusammenhängen: Einerseits hängt eine Ausgangsgröße von mehreren Eingangsgrößen ab, andererseits kann jede Eingangsgröße mehrere Ausgangsgrößen beeinflussen. Und jede Ausgangsgröße kann Eingangsgröße für den nächsten Ursache-Wirkung-Zusammenhang sein.

Deshalb ist es selten möglich eine Änderung vorzunehmen, die nur lokal begrenzte Auswirkungen hat. Lediglich die Politik tut gerne so, als könne man z.B. eine Straße bauen, die nur den Verkehr flüssiger macht, ohne zusätzlichen Verkehr zu erzeugen, den Boden zu versiegeln, Lärm zu erzeugen, Auswirkungen auf das umgebende Biotop zu haben …

Die ungleiche Verteilung von Vermögen gefährdet jede Gesellschaft.

In schöner Regelmäßigkeit werden Statistiken veröffentlicht, die besagen, dass die x % reichsten Bürger y% des Vermögens ihr Eigen nennen. In jeder neuen Statistik scheint das y größer zu werden. Diese Tatsache wird dann kurz in Leitartikeln beklagt und dann schnell zu den Akten gelegt.

Auf der anderen Seite wird der Staat immer mehr zum Reparaturbetrieb:

  • Banken und Konzerne müssen gerettet werden.
  • Die Konzerne rufen ständig nach Subventionen, wenn Veränderungen im Geschäftsmodell anstehen.
  • Ein wachsendes Netz an Verkehrswegen, Infrastruktur, usw. müssen am Leben erhalten werden.
  • Prekäre Arbeitsverhältnisse erfordern staatliche Zuschüsse, um das Existenzminimum zu gewährleisten.

So entsteht ein disharmonischer Dreiklang:

  • Einerseits stiegen in den letzten Jahren die staatlichen Einnahmen.
  • Andererseits steigen die Begehrlichkeiten, was mit diesen Einnahmen alles finanziert werden soll.
  • Die „wirklich reichen“ Privatpersonen und Konzerne beschweren sich (unterstützt von den ihnen wohlgesonnenen Parteien) über hohe Steuern, werden aber immer geschickter darin, die Zahlung dieser Steuern zu vermeiden.

Entsprechend sind die Kassen leer und die Spielräume für Investitionen und Instandhaltung fehlen. Der reichere Teil der Bevölkerung kann sich von vielen Problemen mit Geld freikaufen. Der ärmere Teil muss in vielerlei Hinsicht Verzicht üben.

Die Welt wird multi-polar

Bisher konnten die westlichen Industrienationen mit billigen Rohstoffen, Vorprodukten und Lebensmitteln aus den übrigen Staaten rechnen. (Und wo Staaten nicht willig waren, wurde gerne mit Druck und im Zweifelsfall mit Gewalt nachgeholfen.)

Inzwischen wird die Dominanz des Westens von immer mehr Staaten in Frage gestellt. Während die G7 immer noch den Eindruck erwecken wollen, dass alles auf ihr Kommando höre, bilden sich andere Vereinigungen, wie BRICS+, mit dem Ziel, die Abhängigkeit vom Westen zu verringern.

Der Westen versucht, solche Absetzbewegungen mit dem Verweis auf die „westlichen Werte“, die eine moralische Überlegenheit symbolisieren sollen, zu kontern. Da diese moralische Überlegenheit sehr oft aus Doppelmoral besteht, zieht dieses Narrativ immer weniger. Im Augenblick versuchen die westlichen Regierungen sich immer noch einzureden, dass alles auf ihr Kommando hörte.

Wenn der Westen die Dominanz, die er im 20. Jahrhundert hatte, ins 21. retten möchte, wird das sehr viel Geld kosten – das an anderer Stelle fehlen wird.

Die fetten Jahre sind vorbei

In der Soziologie wird häufig beklagt, der Glaube, Wohlstand werde von Generation zu Generation steigen, sei verloren gegangen: „Von nun an geht’s bergab.“ Der negative Beigeschmack dieser Aussage hängt natürlich stark von unserem Wohlstandbegriff ab: Dass das nächste Auto größer und leistungsstärker als das jetzige sein wird, ist nicht notwendigerweise ein Beleg für Wohlstand. Solange unser Wohlstandsbegriff sich an solchen Statusfragen festmacht, werden wir in Zukunft nicht glücklich werden.

Die PolitikerInnen versuchen noch immer, mit allerlei Voodoo den Eindruck zu erwecken, die kommenden Jahre würden allen Widrigkeiten zum Trotz durch Markt, Technologie und Grünes Wachstums immer fetter werden. Dieses Narrativ wird aber immer unglaubwürdiger. Möglicherweise sind große Teile der Bevölkerung hier gedanklich weiter als die PolitikerInnen – und das kann schnell den Vertrauensverlust vergrößern.

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