Markt und Wirklichkeit

Wir hören immer wieder, der Markt müsse die notwendigen Anreize bieten, um Industrie und Bürger zu einem Umstieg in der Energieversorgung zu bewegen. Der Gold-Standard für diesen Ansatz ist eine steigende Bepreisung des CO2-Verbrauchs.

Ich habe starke Zweifel, ob der Preis das geeignete Instrument ist, um eine Transformation zu steuern:

  • Nicht jeder Marktteilnehmer besitzt dieselbe finanzielle Potenz. Für Menschen mit Geld ist eine Verteuerung kein Anlass, das eigene Verhalten zu ändern: „Ich kann’s mir trotzdem leisten“. Für Menschen mit knapper Kasse kann schon eine milde Verteuerung ernsthafte Probleme aufwerfen.
  • Sobald sich die negativen Folgen einer Verteuerung abzeichnen, kommen Forderungen auf, die Folgen durch staatliche Maßnahmen abzumildern. Solche staatlichen Maßnahmen kosten erst mal Geld und kommen nicht zwangsläufig nur den Bedürftigen zugute. Legendär sind die Forderungen eine höhere Besteuerung des CO2-Ausstoßes durch eine Senkung anderer Steuern auf PKW-Kraftstoffe zu kompensieren. Das hilft dem mystischen Pfälzer Pendler mit seinem Kleinwagen, aber natürlich auch den Haushalten mit drei Sprit-schluckenden Limousinen.
  • Wären die VerbraucherInnen wirklich Homines Oeconomici, würden sie die angekündigten Kosten-Erhöhung bei fossiler Energie in einer Gesamtbetrachtung von Investitions- und Verbrauchskosten für neue Anschaffungen berücksichtigen. Und dann bedürfte es keiner Bauvorschriften für Heizungen. Aber so denkt der Mensch eben nicht: Irgendwann mögen sich die besseren Technologien bezahlt machen. Aber heute leeren die Mehrkosten das Konto – und „langfristig sind wir alle tot“ (Maynard Keynes).

Vollends ins Abseits trudelt der Ansatz, wenn die nationale Perspektive verlassen wird. So möchte Wirtschaftsminister Habeck den Strom für die Industrie auf 6 Cent pro KWh herunter subventionieren, um die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb zu halten. Das ist ein krasser Unterschied zu den über 30 Cent, die Privathaushalte zahlen müssen.

Drastisch unterschiedlich sind auch die (marktkonformen?) Ansätze, den CO2-Verbrauch im Verkehr oder bei den Gebäuden zu reduzieren:

  • Im Verkehr gilt das Prinzip Hoffnung: „wird schon“. Ob ein PKW 3 Liter auf 100 km oder 20 Liter Treibstoff auf 100 km verbraucht, ist der Regierung Wurst: „Irgendwann in ferner Zukunft wird ja die Antriebsenergie aus erneuerbarem Strom stammen und dann ist der Energieverbrauch pro gefahrenem Kilometer irrelevant. Bis dahin lasst den Leuten ihren Spaß.“ Was natürlich reines Wunschdenken ist.
  • Bei den Gebäuden gilt das Prinzip Verunmöglichen, das mit ultraheißer Nadel in Verordnungen gegossen wird. Damit sollen schon nächstes Jahr die Optionen für neue Heizungen eingeschränkt werden. Durchführbarkeit und soziale Kollateralschäden werden erst diskutiert, wenn die BürgerInnen auf die Barrikaden gehen. Hier lautet das Wunschdenken „Irgendwie werden die BürgerInnen mit unseren Vorschriften schon zurecht kommen.“

Eine rationale Vorgehensweise sollte Lösungsansätze danach priorisieren,

  • was durchführbar ist
  • was wenig soziale Schäden anrichtet
  • was das Alltagsleben nicht zu schnell durcheinander bringt

Dazu gehört erst einmal alles auf den Prüfstand, was entbehrlich ist. Da fallen mir Transport-intensive Lieferketten ein, die die Waren einmal um den Global schippern, um Produktionskosten zu sparen. Oder Produkte, die nicht repariert werden können oder (gefühlt) rasend schnell altern, weil es im nächsten Jahr die noch coolere Nachfolgeversion gibt. Oder dicke Autos, Fernreisen, …

In diesen Bereichen könnte man durch Besteuerung und Regelungen einiges bewirken – aber das wäre natürlich „Planwirtschaft“.

Stattdessen erleben wir ein glühendes Bekenntnis zu Marktmechanismen, die sich entweder als unpraktikabel erweisen oder auf Druck schnell wieder aufgeweicht werden.

Ein Kommentar zu „Markt und Wirklichkeit

  1. Kann man alles machen, denkbarer Lösungsanstz für Strom, bspw.: Durchschnitlliche Verteuerung für den durchschnittlichen Haushalt 100€/mtl., also jedem Haushalt 100€ in die Hand drücken; Härtefälle darüber hinaus ggf. mit einem 1-seitigen Antrag prüfen und regeln!

    Was die Wettbewerbsfähigkeit angeht (Ironie on): Die exportorientierte Industrie von allen Kosten und Auflagen großzügig befreien … (Ironie off) Siehe hier (sry für Eigenwerbung) es gibt auch noch Teil 1+ 2.

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