So bringt man Volker Wissing nicht ins Schwitzen

Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk gehört wirklich auf die Intensiv-Station – wie ein Interview mit Volker Wissing mal wieder zeigt.

Daher mal wieder eine e-Mail an den Deutschland-Funk.

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Sehr geehrte Damen und Herren

Am 12. April wurde Verkehrsminister Wissing im DLF von Barbara Schmidt-Mattern interviewt ( https://www.deutschlandfunk.de/sektorziele-durch-fahrverbote-interview-volker-wissing-fdp-verkehrsminister-dlf-2eccc217-100.html ). Hintergrund war der Brandbrief Wissings, in dem er Fahrverbote in den Raum stellte, sollte das Klimaschutzgesetz nicht reformiert werden: Wenn der Verkehrsbereich 22 Mio. Tonnen CO2-Equivalente einsparen müsse, gehe das nicht ohne Fahrverbote. Folglich: Der Verkehrsbereich brauche einen Freifahrschein bezüglich Einsparungen.

Das Interview sollte die Position des Ministers kritisch hinterfragen. Dieses Ziel wurde gründlich verfehlt. Stattdessen gab das Interview Wissing die Gelegenheit, sich als Robin Hood der Autofahrer zu positionieren.

Woran lag es? Die Moderatorin war schlecht vorbereitet. Wissing hat selbstverständlich mit einer Forderung nach einem Tempolimit gerechnet. Und er bügelte das Thema Tempolimit mit dem Argument ab, mit dem die FDP seit Menschengedenken reagiert: „Bringt nix.“ Und damit hätte man das Interview beenden können.

Frau Schmidt-Mattern hätte das Interview natürlich auch anders führen können: Der Auto-Verkehr muss effizienter werden – Notwendigkeit für Mobilität muss reduziert werden. Weniger CO2 bei gleicher Lebensqualität.

Und das heißt:

  • Natürlich sind einige Millionen Tonnen durch ein Tempo-Limit Teil der Lösung.
  • Zusätzlich muss man ans Dienstwagen-Privileg. Viele Firmen stellen ein Gesamt-Paket „Fahrzeug + Treibstoff auf Firmenkosten“ zur Verfügung. Das verführt natürlich zu Viel+Schnell-Fahren. (Ich habe jahrzehntelang in einem Großkonzern gearbeitet: Da haben es die KollegInnen auf der Autobahn „richtig laufen lassen“.) Und ein aberwitziger Anteil der PKW-Neuzulassungen sind Firmenwagen, die Mitarbeitern auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt werden.
  • Vor Jahren stand einmal das Ziel 3-Liter-Auto im Raum. Das war natürlich nicht im Sinne der Auto-Industrie. Stattdessen steht bei vielen BürgerInnen ein 3-Tonnen-Auto mit einem Verbrauch von jenseits 10-Litern/100km in der Garage. Daran könnte der Gesetzgeber durch eine Reform der KfZ-Steuer etwas ändern: Progressive Besteuerung von Fahrzeug-Gewicht. Fahrverbote für schwere PKW in Innenstädten. Keine Verbreiterung von öffentlichen Parkplätzen, auf dass die schweren PKW in die Parkplätze passen.
  • Immer noch ist ein reibungsloser PKW-Verkehr das Ziel der StVO. Entsprechend hart müssen Fußgänger und Fahrrad-Fahrer – und letztendlich auch der ÖPNV – um ihren Platz kämpfen. Ergebnis: PKW-Fahren ist bequem – alles Andere mit Schwierigkeiten verbunden.
  • Es werden immer noch neue Straßen und Autobahnen gebaut bzw. erweitert. Genügend Untersuchungen zeigen, das neue Straßen in erster Linie neuen Verkehr generieren: Neue Straßen geben das Gefühl, dass weitere Entfernungen einfacher zurückzulegen sind.

Man hätte Wissing noch mit weiteren Argumenten konfrontieren können. Hätte. Aber dazu hätte man vorbereitet sein müssen.

Ich habe den DLF schon wegen seiner „Gefälligkeits-Interviews“ kritisiert ( https://redfirefrog.wordpress.com/2024/04/05/offentlich-rechtliche-propaganda-teil-2/ ).

Leider „funktionieren“ auch kritisch gemeinte Interviews in der Regel nicht. Das Interview mit Wissing war kein Einzelfall: Dem/der Interviewten wird es meist sehr einfach gemacht, scheinbar kritische Fragen mit 08/15-Argumenten zu beantworten. Müsste nicht sein. Aber die InterviewerInnen müssten vorab Aufwand investieren, um aus dem Schema „auf Standard-Frage folgt Standard-Antwort“ auszubrechen.

Und natürlich wird wie üblich (und von mir auch schon in https://redfirefrog.wordpress.com/2024/03/13/offentlich-rechtliche-propaganda/ beklagt) in den folgenden Nachrichten-Sendungen der argumentative Sieg Wissings mit dem Aufmacher „Verkehrsminister Wissing hat … zurückgewiesen …“ dokumentiert.

Wo bleibt hier der journalistische Ehrgeiz?

Nebenbei bemerkt: Selbst die scheinbar „siegreichen“ Interviews, in denen unorthodoxen Personen (z.B. Pazifisten) ihre Häresien nachgewiesen werden, sind wenig originell: Der Werte-Kanon der Radikalen Mitte (  https://redfirefrog.wordpress.com/2024/03/02/das-glaubensbekenntnis-der-radikalen-mitte/ ) wird als Naturgesetz vorausgesetzt und Verstöße gegen Naturgesetze sind natürlich nicht möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Damrau

Ein Kommentar zu „So bringt man Volker Wissing nicht ins Schwitzen

  1. Mal wieder ein Brillianter Beitrag.

    Meine (Minimal-)Ergänzung zum journalistischen Handwerk: Fragetechnik, meine Ergänzung zur Kfz-Steuer: Nicht nur Gewicht, auch Zylinderzahl und Abmessung (Verbrauch an Verkehrsfläche) mit einbeziehen, Beispiel:

    1) 4 m x 1,8 m, 3 Zyl. = 100,
    2) 4 Zyl. = 120,
    3) 4,50 m x 2 m x 4 Zyl = 200 usw.
    Am Ende: 1.900 kg (leer), 4,90 m x 2,2 m, 6 Zyl. = 400

    Basis für Firmenwagen ist 1) … der Rest ist entsprechend voll vom Begünstigten zu versteuern.

    PS.: Meine Name ist Helmut Höft, was wp daraus macht entzieht sich meinem Einfluss.

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